Nachwuchs macht Köpfe mit Nägeln – MainEcho vom 11. Juni 2013

Kultburg-Kids: Premiere von »Das Gespenst von Wilmundsheim« – Bei sintflutartigem Regen in den Rittersaal verlegt

Alzenau  Obwohl das böse »Sch…«-Wort verboten ist, hätte Stefka Huelsz-Träger genau dieses am Sonntagvormittag gerne verwendet, denn die Premiere des Stücks »Das Gespenst von Wilmundsheim«, das die Kultburg-Kids im oberen Burghof aufführen wollten, musste bei sintflutartigem Regen in den Rittersaal verlegt werden. Also »Kultburg Indoor« statt »Kultburg Open«, wie Vorsitzender Roland Kilchenstein die Veranstaltungsreihe kurzerhand umbenannte.

Lang anhaltender Applaus

»Wir wissen nicht so richtig, wo wir herkommen und wo wir hingehen sollen«, beschrieb Huelsz-Träger, die gemeinsam mit Marianne Hofmann Regie führte, die Situation für das zehnköpfige Ensemble an ungewohnter Stelle. Doch alles klappte wie am Schnürchen, und am Ende gab es einen nicht enden wollenden Applaus von den Besuchern im voll besetzten Saal.

Marianne Hofmann hatte die Mühen nicht gescheut und den Kindern und Jugendlichen extra ein eigenes Stück geschrieben. Oscar Wildes »Das Gespenst von Canterville« war freie Grundlage für das Alzenauer Gespenst, das seit 400 Jahren auf der Burg haust. Der köstliche und Generationen übergreifende Theaterspaß kam beim Publikum mit seinem herrlichen Lokalkolorit hervorragend an.

Perfektes Vergnügen

Tolle Kostüme wie die des Clubs der lebenden Leichen (Stefka Huelsz-Träger) und die dazu passenden Masken (Dagmar Schudt) machten den Theaterspaß zu einem perfekten Sonntagsvergnügen, das das schlechte Wetter bald vergessen ließ.

Der Frankfurter Äbbelwoi-Beauftragte Herbert Boskoop möchte mit seiner Familie in die Burg Alzenau ziehen und dort mindestens bis Ende 2015 wohnen bleiben – »wegen der Kleinen Landesgartenschau«. Schnell ist »alles in Handkäs« und der Spuk schreckt die Neu-Alzenauer auch nicht ab. Man kommt schließlich aus Frankfurt, der Hauptstadt des Verbrechens.

Während die Zwillinge Kalli und Franzi auf das Kreuzburg-Gymnasium in Großkrotzenburg gehen sollen, darf Liesjen Boskoop das Spessart-Gymnasium in Alzenau besuchen. »Eure Schwester ist clever genug für ein bayerisches Abi«, lautete die viel belachte Begründung der Eltern.

Aus der Schulzeit des aktuellen Alzenauer Bürgermeisters hörte man die Information, dass dieser »viele schöne Stunden« auf der Äbbelwies, der traditionellen Feierwiese der SGAler, verbracht haben soll. Viel zu schmunzeln gab es auch, wenn die türkische Haushälterin Frau Ummit den Mund aufmachte. Sie hadert mit dem immer wiederkehrenden 400 Jahre alten Blutfleck: »Isch machen weg, kommt wieder Fleck!«

Beruhigungspillen fürs Gespenst

Mit dem Gespenst Walter von Wilmundsheim konnte man wirklich Mitleid bekommen, was das Publikum mit einer Runde tieftraurigem »Ohhhh« bestätigt. Nicht nur, dass seine neuen Mitbewohner gar keine Angst haben, sie schenken ihm Antikalk-Mittel und Beruhigungstabletten, um seine Spukstunden geräuscharmer zu gestalten. Von den Zwillingen, die als Ghostbuster auftreten, wird er gnadenlos mit Softbällen abgeballert. Da ist der Club der lebendigen Leichen gefordert: »Wir müssen Köpfe mit Nägeln machen!« Die Geistertruppe mit der süßen Zweitklässerin Jacqueline Lohr als Ludovica von der Scheurebe ist schaurig-schön anzusehen und rät ihrem Kollegen: »Walter, du musst dich mehr ins Zeug legen, sonst bleibst du auf der Streckbank!«.

Wie das Stück ausgeht, wird hier natürlich nicht verraten. Nur so viel: Die einstündige Aufführung vergeht wie im Flug und lohnt sich definitiv. Die zehn Kultburg-Kids agieren auf der Bühne mit Selbstbewusstsein und enormer Umsicht. Hier wächst definitiv ganz starkes Nachwuchspotenzial für den Theaterverein heran. Doris Huh

Doris Huhn

»Das Gespenst von Wilmundsheim« – weitere Vorstellungen, jeweils im oberen Burghof:
Samstag, 22. Juni, 15 Uhr
Sonntag, 23. Juni, 11 Uhr.
Eintrittskarten zu fünf Euro gibt es im Vorverkauf (Tageskassen: sieben Euro) im städtischen Verkehrsamt Alzenau, Tel. 0 60 23 / 50 21 1.

 

 

 

Theater-Feuer an einem kalten Abend – MainEcho vom 19.05.2016

KultBurG-Open: 100 Besucher bei dreieinhalbstündiger Premiere der Gaunerkomödie “Volpone” im Burghof
Es war ein bitterkalter Pfingstsamstag-Abend, an dem die neue Produktion des Alzhenauer Theatervereins KultBurG die Gaunerkomödie “Volpone” in der Reihe der KultBurG-Open Premiere feierte. Die temperaturen rutschten im Laufe der dreieinhalbstündigen Inszenierung in den einstelligen Bereich. Dazu pfiff ein eisiger Wind durch den oberen Burghof.
 

Rund 100 wetterfeste Besucher hatten sich mit Decken und in Winterklamotten auf den Weg gemacht, um dabei zu sein. Die Entscheidung war goldrichtig. Denn an diesem kalten Abend brannte auf der Bühne lichterloh ein Theaterfeuer, das man so schnell nicht vergessen wird. Obwohl die Aufführung durchaus Längen hat und der erste Teil mit 105 Minuten am Stück extrem ausufert, begeistert das Ensemble durch hochkarätige Leistungen. Unter der Regie von Josef Pömmerl spielten die Kultburgler ein Stück von Ben Jonson, der neben William Shakespeare als bedeutendster englischer Dramatiker gilt, in einer Bearbeitung von Stefan Zweig.

Bezug zur Fabel

Bezug nehmend auf die antike Fabel tragen die Akteure Tiernamen entsprechend ihrer Charaktere und tragen in der Alzenauer Aufführung mal mehr oder mal weniger deutliche Attribute. Volpone, der Fuchs, trägt zum Beispiel eine Mütze aus Fuchsfell. Schultern und Arme von Geier, Habicht und Krähe werden von schwarzen glänzenden Federn bedeckt. Der Gehilfe Volpones, die Schmeißfliege Mosca, ist von Kopf bis Fuß als Fliege gekleidet.
Die Geschichte des reichen Gauners, der sich todkrank stellt und von den Erbschleichern, die nun auf den Plan treten, Gold, Geldstücke oder Schmuck über Mosca einsammeln lässt, ist schlau ausgedacht. Wie Dagobert Duck in einer Badewanne mit Geldstücken sitzend (Bühnenbild: Hans Bösebeck, Barbara Vogel-Hohm), tüftelt Volpone an seinen Plänen und ist selbst hingerissen davon (»saftige Bosheit wärmt mehr als Branntwein«). Doch die Dinge laufen aus dem Ruder, als er die Ehefrau des eifersüchtigen Corvinos für eine Nacht fordert …

In der Hauptrolle des Volpone glänzt Andreas Urbaniak, er freut sich königlich über das bevorstehende Theaterspiel. Mit reichem Mienenspiel, das in Sekundenschnelle wechselt und ausdrucksvoller Körpersprache begeistert Anna Jäger in der Rolle von Mosca. Katharina Wilz, Heiko Bozem, Britta Olbrich und Sandra Majewski stellen die Erbschleicher dar.

Gestöhne und Gejammer

Vor allem Majewski in der Rolle des Alter Corbacchio spielt fantastisch. Ihr Gestöhne und Gejammer über das viele Geld, das ihr/ihm fehlt, kombiniert mit der wunderbar einstudierten Körperhaltung eines alten Mannes, der an Stöcken geht, ist genial unterhaltsam. Matthias Wissel spielt Capitano Leone mutig wie ein Löwe. Nicole Bozem als Colomba hat ihre urplötzlichen Ohnmachtsanfälle sorgfältig einstudiert und wird von der Premiere hoffentlich nicht allzu viele blaue Flecken davon getragen haben. Die Rolle der Richterin stattet Carmen Reichenbach mit herrlichen Augen-Tics aus. Verschiedene kleinere Rollen übernahmen Laura Iaquinta, Ursula Stöckl-Elsesser und Stefanie Stenger zuverlässig.

Was die »Star-Wars«-Titelmelodie mit dem Gaunerstück zu tun hat, welche Gerechtigkeit am Ende siegt und ob Volpone tatsächlich »der vollkommenste Schurke in Venedig« ist, können Theaterfans bei sicher höheren Temperaturen in einer der nächsten Vorstellungen erfahren.

Doris Huhn

Ein Richter in großer Verlegenheit – MainEcho vom 30.05.2016

Theater: Die Alzenauer KultBurG-Teens haben Kleists “Zerbrochenen Krug” am Sonntag auf die Bühne gebracht
Nachdem bereits im vergangenen Jahr mit “Romeo und Julia” ein Klassiker erfolgreich aufgeführt worden ist, wünschten sich die KultBurG-Teens des Alzenauer Theatervereins auch in diesem Jahr, große Literatur zu spielen. Diesmal steht Kleist auf dem Programm.

Und so setzte sich Marianne Hofmann wieder hin und schuf eine Alzenauer Bearbeitung von »Der zerbrochene Krug« von Heinrich von Kleist. Unter dem Titel »Der Dorfteufel« entwickelten die Theatermacher eine Komödie, die als Familienstück gegen Ende des 17. Jahrhunderts in einem Gerichtszimmer im Dorf Alzenau spielt.
Atmosphärisch kommt die Premiere der Produktion im oberen Burghof am Sonntagmittag vor 55 Besuchern Premiere gut an. Dass das Ganze an der frischen Luft stattfinden konnte, war bei dem verregneten und gewittrigen Wochenende Glücksache – aber alles ging gut.

Viel Vorbereitungsarbeit

Die Regisseurinnen Marianne Hofmann und Stefka Huelsz-Träger hatten mit ihren Kids ganze Vorbereitungsarbeit geleistet – und das, obwohl der Aufführungstermin zum Ende der Pfingstferien alles andere als optimal war. Die Kostüme und Masken von Stefka Huelsz-Träger und Dagmar Schudt wirkten authentisch, so dass der Eindruck einer kleinen Zeitreise entstand.
Worum geht’s im »Krug«? Dem Dorfrichter Adam (die Rolle teilten sich Luisa Freundt und Alina Renner) passiert ein ganz dickes Malheur. Beim versuchten Stelldichein hat er sich böse verletzt und auch noch seine richterliche Perücke verloren. Und: Er zerbricht einen Krug, der der Mutter seiner Verlobten sehr am Herzen lag. Blöd, dass just am nächsten Tag Gerichtsrat Walter (Micha Lang) seinen Besuch angesagt hat. Gerichtsschreiber Licht (Joshua Parr) ist hier keine große Hilfe für Adam, denn er giert selbst nach dem Amt des Dorfrichters. So gerät Richter Adam in die Verlegenheit, seine Tat vertuschen zu wollen – allerdings nicht mit Erfolg. Denn am Ende wird der Traum von Gerichtsschreiber Licht Wirklichkeit: Er erhält seine Beförderung zum Dorfrichter.

Bei der Inszenierung der Kultburgkids geht es sprachlich deftig zu. Dorfrichter Adam verzettelt sich immer mehr und bedenkt sein Umfeld mit Ausdrücken wie »Halt’ s Maul«. Nettigkeiten wie »Drecksack«, »Sauhund« oder »Klugscheißer« machen die Runde.

»Das war eine Spitzenleistung«, lobt Roland Kilchenstein, Vorsitzender der Kultburg, am Ende die Akteure. Marianne Hofmann hatte zuvor erleichtert und zufrieden verkündet: »Erst emol die Schweißdrobbe weg wische!«

Im Überblick: Weitere Aufführungen
Zwei weitere Aufführungen von »Der Dorfteufel« (Altersempfehlung der Kultburg: ab acht Jahren) finden am Samstag, 9. Juli, 14 Uhr, und Sonntag, 10. Juli, 11 Uhr statt.

Karten kosten fünf Euro im Vorverkauf, an der Tageskasse sieben Euro: Kontakt: Verkehrsamt der Stadt oder per E-Mail: inge-alzenau@t-online.de. Einen Ausschnitt aus »Der Dorfteufel« spielen die Kultburgkids am Sonntag, 26. Juni, 14.30 Uhr beim Familientag der Stadt Alzenau auf dem Gartenschaugelände.

Doris Huhn

Ein Mord im Nirgendwo – MainEcho vom 05. März 2013

Lesung: Sven Görtz stellt auf Einladung des Kultburg-Vereins seinen Kriminalroman vor

Alzenau-Michelbach  Regionalkrimis liegen immer noch im Trend: Aufgrund der Vielzahl in den letzten Jahren veröffentlichter Mordgeschichten hat inzwischen fast jede Stadt und Kommune Deutschlands ihre eigenen fiktiven Verbrechen und Ermittler.

Eine gewisse Sättigung scheint erreicht, und man könnte annehmen, neue Regionalkrimi-Autoren hätten es schwer, sich inmitten der bereits Etablierten durchzusetzen, die längst alle Regionen Deutschlands mit literarischem Mord und Totschlag übersät haben.

Dass dem nicht so ist, zeigt das Beispiel des Hörbuchsprechers, Autors und Kabarettisten Sven Görtz, der am Freitagabend in Simons Weingasthof in Michelbach seinen ersten Kriminalroman »Da liegt ein Toter im Brunnen – Ein Krimi mitten aus der Provinz« vorstellte. Die Besonderheit: Die Geschichte weist zwar alle Merkmale eines klassischen Regionalkrimis auf, inklusive viel Lokalkolorit und schrulliger Ermittler, spielt jedoch an einem Ort, den es gar nicht gibt: Bad Löwenau heißt das erfundene Städtchen, von dem man nur weiß, dass es irgendwo in der Provinz liegt. Und im zentralen Brunnen auf dem Bad Löwenauer Marktplatz liegt eines Tages – der Titel verrät es bereits – ein Toter.

Viel mehr erfahren die rund 30 Besucher der Lesung nicht über den Mordfall, denn der Gießener Sven Görtz, der auf Einladung des Alzenauer Theatervereins Kultburg bereits zum dritten Mal in Alzenau gastierte, konzentriert sich auf die Darstellung diverser Haupt- und Nebenfiguren, deren skurrile Facetten er mit Hilfe von Stimme, Mimik und Gestik zum Leben erweckt. 

Görtz, der Hörbuchfreunden als die deutsche Stimme von Paulo Coelho bekannt ist, spricht angenehm und sonor, liest weniger ab als dass er mit Blick ins Publikum von seinen Figuren erzählt, die ihm sichtlich und hörbar ans Herz gewachsen sind.

Im Mittelpunkt steht das ermittelnde Duo aus Kriminalhauptkommissar Rubin und dem Lokaljournalisten Bernstein. Die beiden Hochkaräter werden flankiert von Akteuren wie einem hektischen italienischen Wirt, dem dubiosen Russen Igor oder dem arroganten Hotelgast Dr. Sommerlauch, die Görtz mit präzisen, leicht überspitzten Stimmimitationen darstellt. Das Publikum schmunzelt und folgt seinem Vortrag aufmerksam.

Es sei schon immer sein Traum gewesen, einen Krimi zu schreiben, erzählt Görtz, der mit der Verortung der Handlung in einem fiktiven Städtchen eine Nische gefunden zu haben scheint: Ein zweiter Fall ist bereits in Arbeit, eine ganze Bad-Löwenau-Serie in Planung.

Regionalkrimi-Liebhaber dürfen sich freuen: Wenn nun auch Städte, die es gar nicht gibt, ihre eigenen Mordfälle und Ermittler bekommen, wird die Flut der Neuveröffentlichungen in diesem Sektor so schnell nicht abreißen.

Susanne Hasenstab

Beziehungskisten und Frühstücksfarce – MainEcho vom 26. November 2012

Kultburg: Neue Produktion des Alzenauer Theatervereins begeistert an zwei Abenden mit je 16 Szenen im Kolbe-Haus

Alzenau  »Szenenwechsel« präsentierten am Freitagabend – und noch mal am Samstag – im ausverkauften Maximilian-Kolbe-Haus 28 Mitglieder des Alzenauer Theatervereins Kultburg unter der Leitung von sieben Regisseuren, die auch auf der Bühne standen.

Das Sammelsurium kleiner, aber feiner Geschichten, insgesamt 16 Stück, das in gut zweieinhalb Stunden in bewährter Spiellaune zur Aufführung kam, wurde vom Publikum mit kräftigem Applaus belohnt. Zu jeder Szene wechselten die Requisiten, die meistens einen Tisch beinhalteten. Maske und Kostüme wurden stimmig in die Handlung einbezogen. Vom ganz kurzen gespielten Witz (»Büroschlaf«) bis zu längeren Szenen reichte die Bandbreite. Dabei waren die Stücke mal urkomisch, mal bitterböse. Nur der Wandel war konstant.

Bitterböse Dialoge

Besondere Beachtung verdiente der Einakter »Frühstück – eine Farce«, der als deutsche Erstaufführung rangierte. Unter der Regie von Josef Pömmerl entwickelte sich am Frühstückstisch des seit 30 Jahren verheirateten Ehepaares (Georg Heres und Carmen Reichenbach) ein bitterböser Dialog um den Selbstmord des Pastors, der sich erhängt hat (»Trautes Heim, Glück allein, soll niemand drin hängen als ich allein«). Als die trauernde Haushälterin des Pastors erscheint, gerät das Gespräch teilweise tatsächlich zur Farce. Sehr gut pendeln die Akteure die Szene aus, lassen das Publikum dabei lachen, aber auch darin inne halten.

Begonnen hatte der famose Theaterabend mit »Dinner for One – auf frankfurterisch«, bei dem der Butler von Fräulein Sophie folgerichtig mit steigendem Alkoholpegel über den (Plüsch)-Elch auf dem Boden stolpert. Nachdenklich machte der Beitrag mit dem Thema »Gesundheitsreform«, den eine Besucherin kommentierte: »So wird’s vielleicht mal kommen!« Die Patientin fällt darin nämlich von einem Schreck in den nächsten: Sie soll sich nämlich selbst den Blinddarm operieren – im Zuge der Gesundheitsreform Stufe Acht. Hilfsmittel liegen mit der Broschüre »Wie betäube ich mich örtlich?« natürlich netterweise parat.

»Sound Unlimited« mit dabei

Wer sich schon bei ihrem Schlösschen-Auftritt gemeinsam mit dem Chor »Sound Unlimited« köstlich amüsiert hatte, durfte das an diesem Abend noch einmal nach Herzenslust tun: Die Schwestern Marianne Hofmann und Anni Christ-Dahm hatten ihre zwei von Christ-Dahm selbst geschriebenen Szenen »Beziehungskisten 1 und 2« noch einmal fein geschliffen und kamen damit hervorragend beim Publikum an. Dass Kommunikation schwierig sein kann, war Thema gleich mehrerer Szenen: Ob bei der »Völkerverständigung«, den Wortfindungsstörungen bei »Kosolovskis Kinder«, die mit dem Mord des Ehemanns endeten oder in »Das Gespräch«, bei dem sich ein Paar einen erbitterten Psycho-Machtkampf lieferte – klasse schlüpften die Kultburgler in die einzelnen Rollen und erfüllten sie mit Leben.

Geisterfahrer und starker Auftritt

Fast ein bisschen unheimlich mutete das Stück »Geisterfahrer« an. Sechs Paare sitzen auf der dunklen Bühne und werden jeweils mit einem Lichtspot beleuchtet, wenn sie an der Reihe sind. Was da alles hinter dem Lenkrad besprochen wird, reicht von belanglosem Ehepaar-Geplänkel bis hin zum Psycho-Thriller mit knallhartem Finale. Im Finale der »Szenenwechsel« stand ein »Einmaliger Auftritt« an, den Regisseurin Inge Mayer ankündigte. Alle Beteiligten des Abends kamen in blaue Müllsäcke gewandet als Schwarzmeer-Kosaken auf die Bühne und zeigten tatsächlich – ein einziges Aufstampfen mit den Füßen, also einen echten »einmaligen Auftritt«. Die witzige Schlussszene war einen Extra-Lacher wert. Bleibt zu hoffen, dass die Kultburg auch im nächsten Jahr so frisch, frech und überraschend Theater spielt – im Alzenauer Maximilian-Kolbe-Haus und auch anderswo.

Doris Huhn

Theater zur rechten Zeit am rechten Ort – MainEcho vom 29. Mai 2012

Alzenau Am »vielleicht schönsten Platz von ganz Alzenau« nach Meinung des Kultburg-Vorsitzenden Roland Kilchenstein startete der Alzenauer Theaterverein am Freitagabend seine neue Reihe »Kultburg Open« mit der Inszenierung von William Shakespeares Werk »Verlorene Liebesmüh« (Regie: Josef Pömmerl).

Unter der großen Kastanie im ausverkauften oberen Hof der Burg konnten es sich die 150 Besucher gut gehen lassen. Begleitet von den Strahlen der Abendsonne, ohne ein einziges Tröpfchen Regen und assistiert vom Vogelgezwitscher und dem Quietschen der Bembel-Bahn, damit niemand die Bodenhaftung verlor, gelang dem neunköpfigen Ensemble eine starke Teamleistung, die zur rechten Zeit am rechten Ort stattfand.

Geschickt nutzte die Amateurtruppe die Nische vor dem Beginn der Burgfestspiele, bei der nur noch professionelle Künstler auftreten dürfen. Die Kultburgler, die sich der Burg bereits im Namen verschrieben haben, bestätigten mit ihrem Auftritt, dass beste Unterhaltung immer kombiniert ist mit Herzblut, und dass Lokalverbundenheit eine Aufführung entscheidend unterstützen kann. Das begeisterte Premierenpublikum spendete der 170-minütigen Inszenierung (inklusive Pause) kräftigen Applaus.

Eher unbekanntes Stück

Regisseur Pömmerl, der auch in die Rolle des Herzogs schlüpfte, griff im Falle des fast unbekannten Shakespeare-Stücks zu einer Bearbeitung des 2008 verstorbenen Horst Jüssen, denn das Original, so der Regisseur, sei wegen heute unverständlicher Vokabeln und Anspielungen nicht mehr spielbar. Eine Art Boulevardkomödie hat »Klimbim«-Star Jüssen daraus gemacht, die sich vier Paaren widmet, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Diesen vier Temperamenten, die einmal in der weiblichen und einmal in der männlichen Variante vorgeführt werden, verschwören sich die Schauspieler mit Leib und Seele. Neben dem souveränen Josef Pömmerl spielt Heiko Bozem den direkt-forschen Biron, Matthias Wissel den weichherzig-gefühlvollen Dichter Doumais und Peter Lubetzky die Figur Longaville, für den Liebe durch den Magen geht.

Auf der Seite der Frauen stehen der taffen Prinzessin (Carmen Reichenbach) die emanzipierte Rosalie (Ursula Ströckl-Elsesser), die romantische Maria (Nicole Bozem) und die einfühlsame Katherine (Moniera Romann) gegenüber. Mal als Narr, mal als Philosoph fungiert Diener Schädel, für dessen Darstellung Gabi Wittemann ein Extralob gebührt. Mimisch und gestisch bringt sie den Publikumsliebling ausdrucksstark auf die Bühne und die Gäste immer wieder zum Lachen, wenn sie sich über die gesalbten Liebessprüche mokiert: »Selbst aus einem frisch geschlachteten Schwein könnte man nicht so eine gute Sülze gewinnen!«.

Das Liebes-Karussell der Paare, das durch einen Schwur der vier Männer zunächst ins Stocken gerät, dann Fahrt aufnimmt, gefährlich wackelt und sich schließlich in den siebten Himmel dreht, wird bestimmt durch witzige Dialoge, in denen die Frauen über die Männer und die Männer über die Frauen lästern (Kommentar zu einem Liebesbrief: »Ein Kaufmann schreibt die Rechnung romantischer!«). Dem Paar Rosalie und Biron reichen ihre scharfen Zungen nicht aus, um ihre Emotionen auszuleben. Sie greifen zu den Degen und parieren ihre bissigen Kommentare mit ebenso treffenden Hieben ihrer Klingen. Das Publikum, das nach der Pause jede Szene mit Applaus begleitet, ist begeistert von der Action-Einlage.

»Wenn Männer droh’n, ist die Gefahr schon fast vorbei«, lautet die weitere Weisheit einer Auserwählten. Am Ende findet jedes Töpfchen sein Deckelchen und vor der von romantischen Lichtern strahlenden Hecke werben die Männer nicht nur mit glänzendem Schmuck um ihre Geliebten, sondern auch mit polierten Worten. Das klingt bei Longaville, bei dem die Liebe durch den Magen geht, logischerweise so: »Wollt ihr die Frau sein, die gemeinsam mit mir – in der Küche stehen will?«

Spitzen, Schleifen, Rüschen

»Verlorene Liebesmüh« punktet durch die große Spielfreude des Ensembles und auch dank der engagierten Arbeit des Teams hinter den Kulissen. Allen voran Kostüm-Fee Barbara Vogel-Hohm, die bei den weiblichen Rollen diesmal in Spitzen, Schleifen, Rüschen und Bändern schwelgen durfte.

Doris Huhn

»Ich gelte als die Schleiferin . . .« – MainEcho vom 29. Mai 2012

Bayerischer Amateurtheaterpreis: Das Alzenauer Ensemble Kultburg wird für das Stück »Witwendramen« ausgezeichnet

Alzenau Der Alzenauer Theaterverein Kultburg wird für seine tiefschwarze und schräge Episoden-Revue »Witwendramen« des fränkischen Autors Fitzgerald Kusz mit dem erstmals verliehenen Bayerischen Amateurtheaterpreis ausgezeichnet. Die Jury vergab an drei Inszenierungen den mit 700 Euro dotierten ersten Preis, der am 28. Juli in Fürth überreicht wird. Mit Regisseurin Anni Christ-Dahm und dem Kultburg-Vorsitzenden Roland Kilchenstein sprach Doris Huhn über Schleiferinnen, lustvolles Scheitern und die Open-Air-Aufführungen, die am 8. Juni im oberen Hof der Burg Alzenau starten.

Wie viele Siegerchancen haben Sie sich eingerechnet?

Anni Christ-Dahm: Nach den ausverkauften Vorstellungen im Sommer 2010 und der begeisterten Resonanz auf die Wiederaufnahme als Benefiz-Theaterstück habe ich mir, ohne überheblich sein zu wollen, sehr gute Chancen ausgerechnet, wenn auch nicht gerade den ersten Platz. Einsendeschluss für die DVD und die Unterlagen war der 31. Dezember. Nach Weihnachten sagte ich zu meiner Schwester Marianne (Hofmann, im Ensemble der »Witwendramen«) erschrocken: »Mer wollte doch das Stück einreichen!« Dann ging alles ganz schnell. Am 29. Dezember durfte Roland noch unterschreiben und die Bewerbung wurde abgeschickt.

Wie stolz ist man als Vorsitzender eines Theatervereins über solch eine Auszeichnung?

Roland Kilchenstein: Für mich kam der Preis schon überraschend. Aber man kann natürlich glücklich sein, dass man solche Regisseurinnen in den Reihen des Vereins hat.
Anni Christ-Dahm: Der Preis ist eine Bestätigung der Arbeit. Das geleistete Engagement wird damit honoriert. Ich sage immer zu meinem Ensemble: Ihr müsst den Erfolg auch wollen!

Was ist für Sie der Reiz am Amateurtheater?

Anni Christ-Dahm: Das schauspielerische Talent liegt mir einfach. Das ist eine echte Leidenschaft. Hier kann ich mich verwirklichen. Wenn ich damit Geld verdienen könnte, würde ich nichts anderes mehr machen. Ich warte jetzt auf entsprechende Angebote (lacht). Das Theaterspiel ist aber auch spannend und der Nervenkitzel ist schön. Selbst wenn ich das Wort eigentlich nicht mag, aber es ist einfach »geil«, nach einem Auftritt den Applaus entgegen zu nehmen. Und wenn etwas schief geht und man improvisieren muss, kann man selbst noch einen Erfolg durch »lustvolles Scheitern« erzielen, indem man aus der Situation einen Gag macht.
Roland Kilchenstein: Mir macht es Spaß, in andere Rollen zu schlüpfen und sich den Leuten, die man kennt, von einer ganz anderen Seite zu zeigen. Die Beziehung zwischen Spielern und Publikum ist etwas ganz Besonderes.

Warum haben Sie die »Witwendramen« ausgewählt?

Anni Christ-Dahm: Wir wollten nach »Der letzte Wille« und »Schweig, Bub« unsere Kusz-Trilogie vollenden. Außerdem herrscht bei uns im Theaterverein Frauenüberschuss, so dass es einfach war, ein reines Frauenstück zu besetzen. Da kurzfristig eine Spielerin ausgefallen ist, habe ich zum Schluss noch mitgespielt. Zum Glück hat sich Christiane Köster bereit erklärt, als Regie-Assistentin einzuspringen. Jede Spielerin konnte sich in den 32 kurzen, revueartigen Szenen von ganz unterschiedlichen Seiten zeigen und fand das toll.

Was für ein Regisseurinnen-Typ sind Sie?

Anni Christ-Dahm: Ich gelte als die Schleiferin! (lacht schallend). Und ich bin Perfektionistin. Für jede Figur erarbeite ich Rollen-Hintergründe. Einer meiner Leitsätze lautet: Wir müssen mit Gefühlen arbeiten.

Welche Schwerpunkte setzen Sie als Vorsitzender und Nachfolger des langjährigen Regisseurs Josef Pömmerl?

Roland Kilchenstein: Ich möchte die Kultburg mehr strukturieren. Die Burg soll zum Beispiel als ureigenste Spielstätte im Mittelpunkt stehen. So wird es in der neuen Reihe »Kultburg Open« sein, mit der wir zwar nicht mehr im Rahmen der Burgfestspiele agieren, weil hier nur noch professionelle Ensembles spielen werden, aber trotzdem mit der Unterstützung durch die Stadt. Die Regie- und die Vorstandsarbeit sollte getrennt sein, damit der Regisseur sich auf seine Arbeit konzentrieren kann.

Doris Huhn

Shakespeare für jedes Alter – MainEcho vom 21. März 2012

Theater: kultBurG-Verein startet im Juni neue Veranstaltungsreihe in der Alzenauer Burg

Alzenau Mit zwei Versionen von Shakespeare-Stücken startet der Theaterverein kultBurG im Juni die Saison des Freilufttheaters in der Alzenauer Burg. Es ist dies gleichzeitig der Beginn einer neuen Veranstaltungsreihe »kultBurG Open«, die jedes Jahr in der Burg stattfinden soll.

Hintergrund ist, dass der Theaterverein laut Stadtratsbeschluss nicht mehr bei den Alzenauer Burgfestspielen auftreten darf.Shakespeares »Sommernachtstraum« in einer Version für Kinder und Jugendliche zeigen die kultBurG-Kids im oberen Hof der Burg Alzenau.

Die Festspiele, die der Verein vor zehn Jahren mit ins Leben gerufen hat, sollen künftig allein professionellen Theatergruppen vorbehalten sein. Der neue Alzenauer Bürgermeister Alexander Legler hat dem Verein aber angeboten, unabhängig von der Stadt im oberen Burghof eine eigene Veranstaltungsreihe zu begründen.

Stück von Kindern für Kinder

Premiere der neuen Reihe ist in diesem Jahr mit zwei Komödien des englischen Theater-Genies, dem Klassiker »Sommernachtstraum« und dem weithin unbekannten Stück »Verlorene Liebesmüh«. Beide Stücke werden allerdings nicht in der Originalversion gezeigt, sondern jeweils in einer stark veränderten Bearbeitung. Beim Sommernachtstraum in der Bearbeitung von Stefan Schroeder handelt es sich um eine Version für Kinder und Jugendliche, die auch von der Nachwuchsgruppe des Vereins, den kultBurG-Kids gespielt wird. Regie hat Stefka Huelsz-Träger, die in den vergangenen Jahren die Kinderstücke in der Burg inszeniert hat.

 

Mit viel Elan und Situationskomik wird das berühmte Stück neu erzählt. Prinzessin Hermia soll Demetrius heiraten, liebt aber Lysander. Hermias Schwester Helena liebt Demetrius, der aber nur Hermia will. Hermia und Lysander fliehen in den Wald, verfolgt von Helena und Demetrius. Dort haben der König und die Königin der Waldgeister gerade eine Ehekrise, die der König mit Hilfe einer Zauberblume zu beheben sucht. Wer den Duft dieser Blume einatmet, verliebt er sich in das erste Wesen, das er sieht. Und natürlich geht dabei einiges schief…

Einiges schief geht auch beim zweiten Stück, der selten gespielten Komödie »Verlorene Liebesmüh«. Hier geht es um einen Eid, den der an Liebeskummer leidende König von Navarra mit seinen drei besten Freunden geleistet hat: drei Jahre lang keine Frau anzurühren und sich alleine den Wissenschaften zu widmen.

Ein verhängnisvoller Schwur

Doch kaum ist jener Schwur besiegelt, steht der Grund für den Liebeskummer des Königs, die Prinzessin von Frankreich, vor seiner Tür. Und sie hat ausgerechnet jene drei Hofdamen mitgebracht, in die sich seine drei Freunde bei ihrem Aufenthalt am französischen Hof verguckt haben.

Jetzt ist guter Rat teuer. Soll und darf man einen Eid brechen? Diener Schädel soll insgeheim für jeden der vier Herren vermitteln, schafft jedoch nur noch mehr Chaos, als er die Liebesbriefe vertauscht. Doch auch die Damen stellen ihre Bedingungen…

Bei der Inszenierung der kultBurG (Regie: Josef Pömmerl) handelt es sich um eine Bearbeitung von Horst Jüssen. Aus dem textlastigen Original hat der Schauspieler und Autor – einem breiteren Publikum bekannt aus der ersten deutschen Satireshow Klimbim – ein flottes Boulevardstück gemacht, das weiterhin eines beweist: Shakespeare hat die stärksten Frauenfiguren für die Theaterbühne geschrieben.

Aufführungstermine

Alle Aufführungen sind im oberen Burghof. Premiere von »Verlorene Liebesmüh« ist am Freitag, 8. Juni; weitere Aufführungen sind am 10., 15., 16., 23. und 24. Juni; freitags und samstags um 20 Uhr, sonntags um 19 Uhr. Der »Sommernachtstraum« läuft am Samstag, 16. Juni, um 15 Uhr und am Sonntag, 17. Juni, um 11 Uhr. redVorverkauf im Verkehrsamt der Stadt Alzenau sowie bei Schreibwaren Drechsler in Kahl und Regenbogen in Mömbris.

Literarische Ausflüge in die Liebeswelt – MainEcho vom 03. März 2012

Kabarettistische Lesung: Hörbuchsprecher Sven Görtz gastiert in Dörsthof-Weingut – Veranstaltung des kultBurG-Vereins

Alzenau-Michelbach Einen vergnüglichen literarischen Abend erlebten die rund 50 Besucher der kabarettistischen Lesung »Liebe ist eine besondere Form von Geisteskrankheit« mit Sven Görtz am Donnerstagabend im Weingut Simon auf den Dörsthöfen.

Der 45-jährige Hörbuchsprecher – er ist unter anderem die deutsche Stimme des Bestseller-Autors Paulo Coelho und wurde für seine Vertonung von Dylan Thomas’ »Under Milk Wood« ausgezeichnet – nahm sich des Themas Liebe in all seinen Facetten an. Görtz las Passagen aus seinem 2010 erschienenen satirischen Buch »Liebe ist eine besondere Form der Geisteskrankheit«, in dem er sich ironisch-humorvoll etwa mit der richtigen Ortswahl für das erste Date beschäftigt. Die Sauna sei dafür nur bedingt zu empfehlen, denn dann sehe man sofort, »was sich beim anderen alles so wölbt, bläht und stülpt«.

Goethe-Parodie

Die vom Alzenauer Theaterverein Kultburg veranstaltete Lesung bestand jedoch nicht nur aus Görtz’ eigenen Texten: Neben Ovid ließ der versierte Sprecher und Stimmenimitator auch den Dichterfürsten Goethe wiederauferstehen und zu Wort kommen. Nach seiner Meinung zu Frauen befragt, gab Görtz als in breitem hessisch parlierender Goethe an, Frauen seien »silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel legen« – eine kryptische Aussage, die der Dichter einst wirklich tätigte und auf die Sven Görtz zufällig im Laufe seines Germanistik-Studiums gestoßen war.

Das Publikum zeigt sich begeistert von seinen originellen Parodien und der Textauswahl, die nicht nur altbekannte Weisheiten zum Thema Liebe zu Tage fördert, sondern zum Teil echte Perlen der Literatur, die heutzutage kaum noch bekannt sind, darunter etwa eine Novelle aus dem »Decamerone«, dem Hauptwerk des italienischen Renaissance-Dichters Giovanni Boccaccio. Die derb-schlüpfrige Geschichte um einen vermeintlich taubstummen Mann, der von liebestollen Nonnen zu permanenten erotischen Diensten genötigt wird, sorgte für große Heiterkeit bei den Besuchern.

Ein Höhepunkt des Abends war auch Sven Görtz’ einfühlsame Vertonung eines Gedichts von Francois Villon, des bedeutendsten französischen Dichters des späten Mittelalters. Sich selbst an der Gitarre begleitend, sang Görtz »Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt« und schaffte es, für einige Minuten als faszinierende Symbiose zwischen mittelalterlichem Minnesänger und modernem Liedermacher zu erscheinen.

Der Titel des Programms übrigens stammt vom amerikanischen Schriftsteller Ambrose Bierce, erzählte Görtz: »Der notierte nämlich, Liebe sei eine besondere Form von Geisteskrankheit, um dann noch hinzuzufügen: ›Die jedoch durch Heirat vollkommen geheilt werden kann‹.

Susanne Hasenstab

Internet: www.svengoertz.de

Apokalyptischer Alptraum – MainEcho vom 12. Dezember 2012

Kultburg: Alzenauer Theaterverein spielt dreimal Becketts »Endspiel« im Rittersaal der Burg – Erstaunliches geleistet

Alzenau »Hochachtung und Respekt« zollte Roland Kilchenstein, Vorsitzender des Alzenauer Theatervereins Kultburg, den vier Akteuren von Samuel Becketts absurdem Stück »Endspiel«, das von Freitag bis Sonntag gleich dreimal im Rittersaal der Burg aufgeführt wurde. »Die Schauspieler haben Erstaunliches geleistet«, lobte er nicht nur Regisseurin Christine Mareck-Brünnler, die in Doppelfunktion die Rolle der Nell übernommen hatte, sondern auch Harald Gelowicz, der den blinden Hamm verkörperte, Michael Ruppel als dessen Adoptivsohn und Diener Clov, sowie Timo Jahn, der Hamms Vater Nagg spielte. Er und Nell haben bei einem Unfall ihre Beine verloren und leben seitdem in Mülltonnen.

Die einzigen Überlebenden

Die vier sind die einzigen Überlebenden einer globalen Katastrophe. Eine Projektion an das Mauerwerk des Rittersaals verkündet dem langsam eintrudelnden Publikum: »Auch der Rittersaal befindet sich im Zustand nach einem Super-Gau. Doch mit ein paar Handgriffen kann der geneigte Besucher selbst wieder Ordnung schaffen.« In der Tat, auf den Stühlen liegen leere Getränkedosen und Plastikverpackungen, Klopapierrollen schlängeln sich malerisch über die Stuhlreihen. Gut gelaunt machen die Gäste ihre Plätze frei und entsorgen den Müll-Super-Gau in einer bereitgestellten Tonne, die per Schild klagt: »Ich fühl mich so leer!«

Leer ist auch die Welt in »Endspiel«. Das Leben ist ein apokalyptischer Alptraum, in dem sich die vier Überlebenden ihren Alltag so schwer wie möglich machen. Der 1916 geborene Beckett schrieb seinen Welterfolg im Jahr 1956. Er wurde damit nach »Warten auf Godot« endgültig zum Begründer des modernen absurden Theaters. 1969 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

In »Endspiel« werden die Personen »in einer metaphysischen Ausweglosigkeit« gezeigt, schreibt Regisseurin Mareck-Brünnler im Programmheft. »Die Einheit von Zeit, Ort und Handlung sind in Becketts »Endspiel« aufgelöst. Die Zeit läuft nicht mehr ab, sie wird zu einem fixierten Dauerzustand, hier dem Vegetieren. Der Ort ist überall und nirgends.«

Eine Bravourleistung ist es, wie der Amateur-Theaterverein die Herausforderung stemmt und dabei gewinnt. Der Einakter wird in einem Rutsch durchgespielt – 90 Minuten lang, in denen Publikum und Akteure eine Beziehung eingehen. Die Zuschauer lassen sich auf das moderne Werk ein und können nur staunen, welche kulturellen Perlen in Alzenau zu entdecken sind, wenn man danach sucht.

Niemand kann vergeben

Der blinde Hamm, der im Rollstuhl sitzt, und sein gehbehinderter Diener Clov quälen sich gegenseitig mit grausamen Wortspielereien und finden keine Ebene, auf der sie den katastrophalen Ist-Zustand verarbeiten können. Die Dialoge der in Mülltonnen lebenden Eltern Hamms, die bei einem Unfall ihre Beine verloren haben, spielen auf einer emotional liebevolleren Basis. Doch niemand gewinnt hier, denn niemand kann vergeben. »Verfluchter Erzeuger«, herrscht Hamm seinen Vater an und fordert von Clov: »Weg mit diesem Dreck. Ins Meer damit!« Alzenau wird ganz nah in diese irreale Welt geholt, als Hamm Clov zunächst befiehlt, mit dem Fernglas die Ruine des Kraftwerks anzuschauen und dann fordert: »Sieh dir den Turm der Villa Messmer an!«

Zu lachen gibt es für das Publikum nicht allzu viel, das ist aber auch nicht die Intention des Stücks. Unfreiwillige Komik erzeugt die Szene, in der ein kleiner Stoffhund quer durch den Rittersaal geworfen wird und prompt eine bis dahin noch gefüllte Getränkeflasche umwirft. Gut, dass so viele Klopapierrollen zur Hand sind …

Herausforderung bestanden

Mit der Aufführung von Samuel Becketts »Endspiel« beweist der Alzenauer Theaterverein, dass er im zehnten Jahr seines Bestehens leistungsstärker als zuvor ist und Herausforderungen bravourös besteht, die selbst Profitruppen zur Verzweiflung treiben können. Was lediglich noch fehlt, sind mehr Besucher, die sich dieser schweren Kost und der damit verbundenen Herausforderung stellen. Manchmal muss man sich eben auf ein »Endspiel« einlassen, »denn das Ende liegt im Anfang«, überall und nirgends.

Doris Huhn