»Die lustigen Leidenden« Schauspielpatienten helfen an der Uniklinik bei der Praxisausbildung von Ärzten – MainEcho vom 13. Februar 2008

Die lustigen Leidenden

Schauspielpatienten helfen an der Uniklinik bei der Praxisausbildung von Ärzten

Frankfurt. Wir befinden uns im sicherlich lustigsten Wartezimmer am Frankfurter Universitätsklinikum. Es wird gescherzt, gelacht und rumgealbert. Dabei sind alle Anwesenden schwer krank: Lebensmittelvergiftung, Lungenentzündung oder Herzrhythmusstörung. In wenigen Minuten werden sie wieder husten oder schmerzvoll die Arme an den Bauch pressen. Doch jetzt haben sie Pause.

 

Das runde Dutzend Personen, das hier im Lehrstudio auf seinen Einsatz wartet, sind Schauspielpatienten. An ihnen sollen künftige Ärzte üben, wie sie mit Patienten umgehen müssen. An diesem Tag sind Untersuchungskurse an der Reihe. Studierende im fünften Semester sollen bei der Anamnese, einem klärenden Vorgespräch, passende Fragen stellen um auf eine richtige Diagnose zu kommen. Es ist das erste Mal, dass die angehenden Ärzte mit »Patienten« zu tun haben. Deshalb wirken viele verunsichert, müssen öfter nachdenken, was sie noch fragen können. Manchmal gibt der ganze Kurs Anregungen, manchmal beobachtet dieser schweigend und schreibt mit. »Das macht jeder Dozent anders«, erklärt Sandy Kujumdshiev. Sie ist Ärztin, und an der Klinik für die OSCE-Prüfungen verantwortlich. Dabei müssen Ärzte wie in einem Zirkeltraining nacheinander mehrere Stationen aufsuchen und praktische Aufgaben bewältigen. Bei den OSCE-Prüfungen ist laut Kujumdshiev aufgefallen, »dass wir professionelle Patienten brauchen.« Denn ein Student, der einen 68-
Jährigen mit Diabetes spielt, wirkt einfach nicht überzeugend. Daher war die Frankfurter Uniklinik eine der ersten, die Schauspielpatienten einsetzt. So erfolgreich, dass die Zahl von jetzt 92 Simulanten mehr als verdoppelt werden soll. Uwe Zinßer betreut die Simulationspatienten und übt mit ihnen ihre Krankheiten ein. Sie bekommen dabei eine komplett neue Persönlichkeit verpasst: Name, Beruf, Hobby, Familiengeschichte.

Wer bei uns krank sein will, muss kerngesund sein. (Patiententrainer Uwe Zinßer)

Jede Kleinigkeit kann wichtig sein: Ist die Mutter an Krebs gestorben, hat die Patientin Angst davor, selber an Krebs zu leiden. Gibt es Probleme in der Familie, könnte das die Schlafstörungen erklären. Rund drei Stunden dauert so ein Training; zunächst entwickelt man gemeinsam die neue Persönlichkeit und dazu eine komplette Lebensgeschichte. Dann werden die Symptome eingeübt. Und am Ende geht es auf den heißen Stuhl: Jeder Patient wird geprüft, ob er das Gelernte auch beherrscht. Doch auf alle Situationen kann man die Schauspielpatienten nicht vorbereiten. Daher müssen diese auch improvisieren können. Gleichzeitig müssen sie jedoch so spielen, dass sie Prüfungen nicht beeinflussen. Gibt der Patient zu deutliche Hinweise, könnte es sein, dass die Prüfung nicht gewertet wird. Andererseits hat so mancher Patient den Prüfling schon gerettet. Bei
einem Blackout genügt oft ein: »Herr Doktor, Sie schauen so seltsam. Es ist doch nichts Ernstes?«, um diesen wieder zurückzuholen. Auf jeden Fall darf er aber, etwa bei einer OSCE-Prüfung, in der 20. Wiederholung nicht schlauer sein, als beim ersten Mal. Fällt ein Fachwort wie Diarrhö muss er auch dann fragen: »Herr Doktor, was ist denn das?« Sonst würde er die Prüfungsbedingungen verändern. Man könnte denken, dass professionelle Schauspieler für diese Aufgabe bestens geeignet sind. Doch Uwe Zinßer winkt ab. Die würden manchmal zu theatralisch, sobald sie Zuschauer haben. Die meisten Schauspielpatienten hat er in Vereinen aufgelesen, bei Bekannten oder einfach auf der Straße angesprochen. Wichtig ist auch, dass die Simulanten kerngesund sind. Sonst könnte sich die reale Krankengeschichte mit der erfundenen vermischen. Am heutigen Tag sind fast nur Mitglieder von Amateurtheatergruppen anwesend. Und denen scheint ihr Einsatz großen Spaß zu bereiten. Gleichzeitig sehen sie jedoch die soziale Verantwortung. Stefka Huelsz-Träger von der Alzenauer »Kultburg« findet es wichtig, »wenn die Ärzte mit dem Wissen rausgehen, wie man als Patient behandelt werden möchte.« Geld gibt es dafür zwar auch, doch, so Peter Beuchelt vom »Theater Familie Krause« aus Kelkheim-Fischbach: »Das liegt weit unter Hartz IV.«

Dafür macht es ihnen doppelt Freude, wenn sie überzeugend wirken. »Meine Studentin hat mir beim Abschied gesagt, sie hofft, dass es mir familiär bald besser geht«, sagt lachend Inge Mayer aus Alzenau. In ihrer Rolle hat ihr Mann Alkoholprobleme. Und nicht selten gibt es von den Studierenden nachher auch die Belohnung, die jeder Schauspieler braucht: Applaus!

Josef Pömmerl

Die Universitätsklinik sucht weitere Simulationspatienten. Info bei Uwe Zinßer, 069/6301-87150 oder E-Mail uwe.zinsser@kgu.de.